Im Phytoforum der „Aerztezeitung“ wurde folgende Frage gestellt:

„Hirse-Extrakt (öliger) wird zusammen mit der Aminosäure L-Cystin und Vitamin B5, der Pantothensäure, für die Indikation Haarausfall vermarktet.

Welche Erkenntnisse bestehen zu dieser Kombination? Gibt es darüber hinaus Daten zu der Wirksamkeit und dem Wirkmechanismus? Wie sieht es bei männlichem oder weiblichem genetischen Haarausfall aus?“

Die Antwort von Prof. Karin Kraft (Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Rostock):

„Zur ersten Frage: In einem Beitrag haben Privatdozentin Daniela Höller Obrigkeit von der Hautklinik der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen und ihre Mitarbeiter 2006 in einer in vitro Studie an Keratinozyten gezeigt: Die Kombination aus L-Cystin, Pantothensäure und dem aus der Hirse gewonnenen Phytoöstrogen Miliacin steigert das Zellwachstum synergistisch (Cutan Ocul Toxicol 2006; 25(1): 13-22).

Zur zweiten Frage: Über den zugrunde liegenden Mechanismus, über die Wirksamkeit in vivo und mögliche Wirkungen in besonderen Patientengruppen ist allerdings keine Aussage möglich.“

Quelle:

http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/haut-krankheiten/article/803888/hilft-hirse-haarausfall.html?sh=225&h=-1654632450

Kommentar & Ergänzung:

Bei den untersuchten Substanzen der Studie aus Aachen handelt es sich um Inhaltsstoffe des Haarwuchsmittels PRIORIN®. Beteiligt an der Studie war die Pharmafirma Roche, während Priorin heute von Bayer verkauft wird. Es handelt sich um Kapseln zum Einnehmen.

So interessant solche Laborergebnisse manchmal auch sein mögen: Karin Kraft schreibt sehr zu recht, dass die Resultate dieser Studie keine Aussagen über mögliche Wirkungen in vivo (am lebenden Menschen) erlauben.

Eine gut dokumentierte Wirksamkeit sieht jedenfalls anders aus.

Priorin gibt es daneben auch zur äusserlichen Anwendung mit den Inhaltsstoffen Melatonin, Ginkgo biloba und Biotin (Vitamin B7).

Die Priorin-Website trägt in Bezug auf Wissenschaftlichkeit ziemlich dick auf:

„ Priorin® LF wurde in der Schweiz in Zusammenarbeit mit mehreren internationalen dermatologischen Kliniken und Universitäten entwickelt und geprüft. Es ist das Resultat von über 10 Jahren Forschung und Entwicklung, u.a. an der ETH Zürich und der dermatologischen Klinik in Zürich.

Die Wirksamkeit und die Verträglichkeit von Priorin® LF wurde in verschiedenen Studien in mehreren Ländern gezeigt. Die Untersuchungen wurden an Männern und Frauen verschiedensten Alters durchgeführt.“

(Quelle: http://www.priorinlf.ch/de/studien.html)

Wenn man die Wissenschaftlichkeit so ins Zentrum rückt, sollte man meines Erachtens auch die Quellenangeben angeben, also offenlegen, in welchen Fachzeitschriften die Forschungsresultate publiziert wurden. Schöne Behauptungen kann nämlich jeder aufstellen. Die Website enthält als Beleg nur Vorher/Nachher-Fotos. Das ist als Beleg nichts wert.

Basis der Priorin-Kapseln ist ein Goldhirse-Totalextrakt. Hirse ist ein wertvolles Getreide:

„ Hirse ist das mineralstoffreichste Getreide. In Hirse sind Fluor, Schwefel, Phosphor, Magnesium, Kalium und besonders viel Silizium (Kieselsäure) und Eisen enthalten. Im Handel üblich ist die von Schalen befreite Goldhirse. Es gibt daneben die ungeschälte Braunhirse, in der die meisten an den Schalen haftenden Mineralstoffe und Spurenelemente erhalten sind. Möglicherweise ist jedoch der Blausäuregehalt besonders bei roher Hirse nicht ganz unbedenklich. Hirse kann zur Herstellung glutenfreier Backwaren verwendet werden. In vielen Gebieten Afrikas und Asiens sind die unterschiedlichen Hirsearten Hauptnahrungsmittel, werden allerdings zunehmend durch Mais verdrängt. Kolbenhirse dient als Nahrung und in Osteuropa als Viehfutter, in Europa und Nordamerika zudem als Vogelfutter für die Ziervogelhaltung.

Hirse ist darüber hinaus die Grundlage einiger traditioneller Biere, zum Beispiel Dolo in Westafrika, Pombe in Ostafrika und Merisa im Sudan. In Äthiopien ist die Hirseart Teff (Eragrostis tef) die wichtigste Nahrungspflanze der Menschen. Industriell wird Hirse von einigen spezialisierten Brauereien zur Herstellung von glutenfreiem Bier für Menschen mit Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) genutzt. In China werden aus Hirse eine Reihe von Spirituosen gebrannt, die Baijiu genannt werden, der bekannteste chinesische Hirseschnaps ist Maotai.“

(Quelle: Wikipedia)

Interessant ist auch die Nutzungsgeschichte der Hirse:

„ Die beiden ältesten Funde von Rispenhirse in Deutschland (Nähe Leipzig und Kreis Hadersleben) stammen aus der Zeit der Linienbandkeramik (Altneolithikum 5500–4900 v. Chr.). Im Altertum und Mittelalter zählten die unterschiedlichen Hirsearten zum meistangebauten Getreide. Durch Ausgrabungen in Mittel- und Norddeutschland ist ebenso der Hirseanbau in der vorrömischen Eisenzeit (Hallstatt- und Latènezeit) sowie der römischen Zeit (1.–3. Jahrhundert n. Chr.) belegt. In der frühen Neuzeit wurden sie in Europa durch die Einfuhr von Kartoffel und Mais fast völlig verdrängt. Im Himalayagebiet wird aus verschiedenen Sorten ein schwachalkoholisches Bier gebraut. Gästen des Hunnenkönigs Attila wurde ausschließlich Hirse gereicht. Um die Gesundheit und Kraft zu stärken, empfahl der griechische Philosoph Pythagoras die Hirse.“

(Quelle: Wikipedia)

Meine Vermutung: Die wichtigsten Inhaltsstoffe von Priorin bekommt man gesünder und billiger via Hirse oder via andere Getreide. Das Produkt scheint mir unnötig (als Drogist, der ich einmal war, würde ich heute mit einer solchen Einstellung allerdings wohl Pleite gehen….).

Ob Ginkgo biloba im Priorin® LF via äusserlicher Anwendung auf der Kopfhaut einen positiven Effekt gegen Haarausfall hat, scheint mir auch fraglich.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse

www.phytotherapie-seminare.ch

Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital

Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

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