Viele Medienberichte zum Thema Komplementärmedizin sind irreführend und verzerrt. Ein Beispiel dafür liefert die Boulevardzeitung „Blick“ in einem Beitrag zur Misteltherapie („Blick“-Zitate kursiv).

Zitat:

„ Was bewirkt das Präparat?

Das Mistelextrakt enthält Eiweissstoffe, die im Körper des Kranken die Produktion von Endorphinen anregen. Das sind Stoffe, die unsere Schmerzen lindern und die Stimmung aufhellen. Zudem stärkt das Heilmittel die körpereigenen Abwehrkräfte, indem es die Produktion der weissen Blutkörperchen anregt. Mit der Misteltherapie lässt sich das Immunsystem so gut stimulieren, dass es auch zur Unterstützung von Chemo- und Strahlentherapie oder Krebsoperationen verwendet wird. In hoher Dosierung tötet das Mittel Krebszellen und stärkt dabei das Immunsystem – im Gegensatz zur Chemotherapie, die Krebszellen tötet und als Nebenwirkung das Immunsystem schwächt.“

Der entscheidende Satz ist dieser:

„In hoher Dosierung tötet das Mittel Krebszellen und stärkt dabei das Immunsystem – im Gegensatz zur Chemotherapie, die Krebszellen tötet und als Nebenwirkung das Immunsystem schwächt.“

Mistel tötet also in hoher Konzentration Krebszellen und stärkt dabei das Immunsystem.

Chemotherapie tötet Krebszellen und schwächt dabei das Immunsystem.

Keine Frage: Gemäss dieser Darstellung ist die Misteltherapie der Chemotherapie vorzuziehen.

Was der Satz verschweigt:

Misteltherapie tötet in hoher Konzentration Krebszellen im Labor an isolierten Geweben oder Zellen. Beim lebenden Menschen ist eine solche Wirkung leider nicht belegt.

Chemotherapie dagegen tötet Krebszellen beim Patienten, schädigt aber leider dabei auch das Immunsystem und andere gesunde Zellen.

Im Labor an isolierten Geweben und Zellen kann man Mistel tatsächlich in sehr hoher Konzentration einwirken lassen. Solche Ergebnisse lassen sich aber nicht einfach auf die Anwendung bei Krebspatienten übertragen.

Wenn man die Angabe „im Labor“ weglässt, erweckt man einen geschönten Eindruck und führt Krebspatientinnen und –patienten in die Irre.

Im weiteren schreibt „Blick“:

„Gibt es Risiken und Nebenwirkungen?

Die Behandlung ist risikoarm. Selten gibt es allergische Reaktionen: Rötung und Schwellung bei der Einstichstelle sind positive Reaktionen, die zur idealen Dosierung des Präparates beitragen.“

Eine sehr geschönte Darstellung.

Hier die andere, vom “blick” ausgeklammerte Seite:

„In niedriger, nichttoxischer Dosierung dominiert die immunstimulierende Wirkung der Mistellektine, aus der nicht auf eine Hemmung des Tumorwachstums geschlossen werden darf. Erst in höheren Konzentrationen, die bereits deutliche unerwünschte Wirkungen hervorrufen, zerstören Lektine und Viscotoxine……..Lektine und Viscotoxine sind nach parenteraler Applikation extrem giftig. Die akute Toxizität ist möglicherweise nicht nur auf die direkte Cytotoxizität der Lektine und Viscotoxine, sondern auch auf die provozierte Ausschüttung von Mediatoren des Immunsystems zurückzuführen.“

(Quelle: http://www.kup.at/db/phytokodex/datenblatt/Mistelkraut.html)

Oder bei Wikipedia:

„Unerwünschte Wirkungen der Misteltherapie betreffen das Herz-Kreislauf-System (Blutdruckabfall oder -anstieg, Verlangsamung des Herzschlags), den Magen-Darm-Trakt (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Dehydratation), das zentrale Nervensystem (Verwirrtheit, Halluzinationen, epileptische Anfälle) sowie das Immunsystem (Fieber, Anstieg der weißen Blutkörperchen im Blut). In der bisher einzigen randomisierten kontrollierten Studie zur Wirksamkeit des Mistelpräparates Iscador wurde ein beunruhigendes Ausmaß an Toxizität beobachtet. Vor allem fiel eine Zunahme von Gehirnmetastasen beim Iscador-Patientenkollektiv im Vergleich zur Kontrolle auf. Lokale Entzündungsreaktionen an der Injektionsstelle (wie Rötung, Schwellung, Schmerzen) sind häufig. Schwerwiegende Komplikationen sind selten, jedoch wurden einige Todesfälle berichtet. Ursache hierfür können allergische Reaktionen sein, die zu einem anaphylaktischen Schock führen können. Nicht angezeigt ist die Misteltherapie während der Schwangerschaft und in der Stillzeit.“  (Quelle: wikipedia)

Solche Nebenwirkungen scheinen allerdings selten von schwerwiegender Natur zu sein.

Problematischer sind Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, dass eine Misteltherapie bei bestimmten Tumorarten das Wachstum des Tumors steigern könnte.

„Konsequente Grundlagenforschung in den letzten Jahren zeigte, dass die durch Mistellektin I (besser: Viscum album Agglutinin I = VAA I) vermehrt freigesetzten Zytokine in vitro und in vivo (Tiermodelle) die Proliferation von Zellen verschiedener Tumore, Leukämien und Lymphome stimulieren können. In der Literatur finden sich Berichte über negative Effekte von Mistelextrakten bzw. Lektin in der Zellkultur, in Tumorexplantaten, in Tierversuchen und bei klinischer Anwendung. Experimentelle Befunde verweisen auf die realistische Möglichkeit einer Gefährdung zumindestens einzelner Patienten bei bestimmten Tumorarten und/oder -stadien durch lektinbezogene) Mistelanwendung. Die Annahme, dass eine Erhöhung der Serumspiegel dieser Botenstoffe zumindestens bei einzelnen Tumorpatienten negativ mit einer kürzeren Lebenserwartung korreliert ist, hat sich für verschiedene Malignome bestätigt.“

(Quelle: Barbara Burkhard, Anthroposophische Medizin, Pharmazeutische Zeitung, Govi-Verlag 2000).

Ähnlich schreibt Dr. med Jutta Hübner, Sprecherin des Arbeitskreises komplementäre Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft:

„ Die direkte Wirkung auf den Tumor wurde leider noch nicht bewiesen. Unklar ist, ob eine Beeinflussung des Tumorwachstums stattfindet. Mistelextrakt kann das Absterben von Tumorzellen im Reagenzglas fördern. In Tierexperimenten konnte durch die Gabe von Mistel die Ausbreitung von Tumoren vermindert werden. Es liegen aber auch Untersuchungen vor, die für einige Tumorarten im Laborexperiment eine wachstumsfördernde Wirkung zeigten. Auch bei Untersuchungen an Patienten ergaben sich zum Teil ungünstige Ergebnisse…….Bei bestimmten Tumoren wie Melanom, Nierenkarzinom, Lymphom und Leukämien sollte die Mistel auf keinen Fall eingesetzt werden“

(aus: Aloe, Ginkgo, Mistel & Co., Schattauer 2009)

Im weiteren schreibt „Blick“:

„ Was ist das stärkste Argument gegen die Mistelanwendung?

Die Schulmedizin kritisiert, dass die Therapie nie in Doppelblindstudien untersucht wurde. So lange diese wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise fehlen, gelten Mistelpräparate nicht als Heilmittel gegen Krebs.“

 

Der Satz: „Die Schulmedizin kritisiert, dass die Therapie nie in Doppelblindstudien untersucht wurde“, ist eine einzige Lüge. Die Misteltherapie wurde in einer ganzen Reihe von Doppelblindstudien untersucht. Die „Schulmedizin“ kritisiert, dass die Qualität der meisten Studien schlecht ist und die Ergebnisse insgesamt nicht überzeugen. Und diese Einschätzung dominiert nicht einfach nur  in der “Schulmedizin”. Man findet sie auch in der Phytotherapie-Fachliteratur und bei Jutta Hübner.

„Blick“ verbiegt das „stärkste Argument gegen die Mistelanwendung“.

Sie auch:

Misteltherapie bei Krebserkrankungen: Wirksamkeit nicht nachweisbar

Misteltherapie gegen Krebs wirksam?

Weshalb stellt „Blick“ die Misteltherapie derart verzerrt dar?

Zu vermuten ist, dass sich die Zeitung einseitig auf die Angaben der Mistel-Propagandisten stützt. Ausserdem schreibt „Blick“ wohl einfach, was die Leserinnen und Leser gerne hören. Heilungsversprechungen kommen immer gut an. Sie lindern die Angst vor Krebs.

Wer Heilungsversprechungen in Frage stellt, hat da zum vorneherein einen schwereren Stand.

Quelle der „Blick“-Zitate:

http://www.blick.ch/life/ratgeber/das-muessen-sie-ueber-die-therapie-wissen-186039

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Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

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