Grüntee wird intensiv erforscht. Aus diesem Grund erscheinen immer wieder Meldungen in den Medien über vermutete, bestätigte oder widerlegte Grüntee-Wirkungen.
Grüntee – eine neue Waffe gegen Krebs?
Unterstützt Grüntee die Tumorbehandlung?
So oder ähnlich lauten die Schlagzeilen, wobei es oft alles andere als einfach ist, die zugrunde liegenden Studien zu interpretieren.
Gerade weil Grüntee immer wieder im Umfeld der Onkologie / Krebstherapie auftaucht oder gar als Krebsheilmittel propagiert wird, scheint mir die folgende Meldung wichtig:

Ein Inhaltsstoff aus Grüntee hebt den Effekt des Zytostatikums Bortezomib vollständig auf. Zu diesem Resultat kommen Forscher der University of Southern California (USC). Wie sie in der Fachzeitschrift «Blood» (Doi: 10.1182/blood-2008-07-171389) darlegen, geht die Substanz Epigallocatechin-3-gallat (EGCG) eine chemische Bindung mit Bortezomib (Velcade®) ein. Dadurch kann der Proteasom-Inhibitor, der beim Multiplen Myleom zum Einsatz kommt, nicht mehr an seine Zielstruktur im Inneren der Tumorzelle andocken. Die publizierten Resultate basieren auf Untersuchungen in-vitro (= im Reagenzglas) und auf Tierversuchen mit krebskranken Mäusen. Klinische Studien, welche die Ergebnisse beim krebskranken Menschen verifizieren würden, wären wegen des vorhersehbaren negativen Effekts in der Grüntee-Gruppe unethisch.

Auch für die US-Forscher waren die Resultate ihrer Untersuchung überraschend

Ihre Hypothese war nämlich, dass das Polyphenol EGCG die Antitumor-Wirkung des Zytostatikums verstärkt. Es zeigte sich aber das Gegenteil. Daher rät Professor Dr. Axel H. Schönthal von der USC Bortezomib-Patienten, Grünen Tee oder Präparate mit Grüntee-Extrakt zu meiden. Diese Information müsse sich nicht nur bei Patienten, sondern auch bei den Heilberuflern herumsprechen. Der Studienleiter betont ausserdem, dass Patienten Grünen Tee beziehungsweise Extrakte daraus oft einnehmen, um die Nebenwirkungen der Krebstherapie zu vermindern. «Wenn Bortezomib nicht mehr an die Zellen herankommt, dann löst es auch keine Nebenwirkungen mehr aus», hält Schönthal fest. Die Patienten fühlen sich dadurch besser. Das liege jedoch nicht daran, dass der Grüntee gegen die Nebenwirkungen wirkt, sondern daran, dass Bortezomib nicht wirkt.

Quelle: www. pharmazeutische-zeitung.de, 04.02.2009

Kommentar: Grüntee

Dieses Ergebnis zeigt, dass man auch Heilpflanzen sehr differenziert betrachten muss. Zwar kann man von Tierversuchen nicht direkt auf eine identische Wirkung beim Menschen schliessen. Die Krebstherapie ist aber ein zu ernstes Terrain, als dass man eine solche mögliche Wechselwirkung (Interaktion) einfach negieren könnte.

Leider wird es aber nun in der Naturheilkunde mit Sicherheit genug blinde Grüntee-Verteidiger geben, die mit dem Argument ins Feld ziehen, dass Grüntee in seiner Ganzheit angewendet so ausbalanciert ist, dass er niemals schaden kann. Und dass es Probleme nur gibt mit isolierten Einzelsubstanzen in hohen Dosen am Tier. So läuft die Verteidigung in solchen Fällen in der Regel, ohne dass aber nur im Ansatz geklärt ist, ob die Argumentation auch stimmt. Es ist dies eine ziemlich blinde Argumentation von Leuten, für welche Heilpflanzen immer und ausschliesslich heil und gut sein müssten.

Wir haben es hier mit einer leider weit verbreiteten Blindheit des Schwarz-Weiss-Denkens zu tun

Hier die heilenden, uns wohlgesinnten Heilpflanzen, dort die böse “Chemie”.
Es ist diese hoch einseitige Haltung, die mir in über 25jähriger Lehrtätigkeit im Bereich der Naturheilkunde immer wieder begegnet ist, und die in mir einen zunehmend kritischeren Blick geschärft hat gegenüber dieser “Szene”.

Meiner Ansicht nach braucht die Naturheilkunde mehr Ambivalenz-Toleranz.
Das würde heissen: Es gibt nicht nur Gut und Bös. Und was Heilwirkungen hat, kann auch unerwünschte Nebenwirkungen haben und in bestimmten Fällen auch schaden. Dass ein Mittel nur und ausschliesslich heilt, aber niemals Probleme macht, das scheint mir dagegen eine hochgradige Idealisierung.

Also befassen wir uns doch weiterhin mit Grüntee (und anderen Heilpflanzen).
Wann, bei wem und in welcher Form ist Grüntee heilsam – und wann nicht.

Dieser Ambivalenz, diesen Widersprüchlichkeiten muss sich meines Erachtens stellen, wer verantwortungsbewusst Pflanzenheilkunde betreiben will. Das ist allerdings viel anspruchsvoller als das einseitige Schwarz-Weiss-Denken, welches Heilpflanzen ohne weiter darüber nachzudenken idealisiert oder diffamiert (blinde Diffamierung gibt es natürlich auch).

Ambivalenz-Toleranz setzt eine ernsthafte, sorgfältige Auseinandersetzung voraus. Die chronischen Schwarz-Weiss-Denker dagegen können sich jede seriöse Auseinandersetzung sparen, weil sie immer schon im vorneherein wissen, was gut und was schlecht ist. Das reicht ihnen dann.

Immerhin: Wer sich differenziert mit den Heilpflanzen und ihren Wirkungen auseinandersetzt, lernt mehr dabei und hält sich dabei geistig wach.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

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