Kommt das Thema „Komplementärmedizin“ in Politik und Medien zur Sprache, kann man sich auf einiges gefasst machen. Fast sicher ist ein hoher Populismusfaktor, überwiegend fehlende Differenzierungen, weitgehende Abwesenheit von kritischem Nachfragen und nicht selten schlichte Fehlinformationen.

Der Tages-Anzeiger berichtet unter dem Titel „Befürworter der Alternativmedizin fürchten um die Früchte ihres Sieges“ :

„ Das Bundesamt für Gesundheit will offenbar nur zwei der fünf alternativen Heilmethoden wieder in die Grundversicherung aufnehmen – die beiden unbedeutendsten.“

Und weiter:

„ Für zusätzlichen Ärger sorgt, dass beim BAG offenbar die Neural- und die Phytotherapie in der Poleposition sind – ausgerechnet jene zwei Methoden also, die in der Schweiz die geringste Bedeutung haben. Die beliebteste Heilmethode, die Homöopathie, bliebe aussen vor. Für die Befürworter der Alternativmedizin liegt darum der Verdacht nahe: Der Bund möchte eigentlich nichts tun, nur wagt er dies nach dem positiven Volksentscheid nicht und setzt nun darum auf die unbedeutendsten Methoden.“

Dazu ist zu sagen:

Die Beliebtheit einer Methode kann und darf für das Bundesamt für Gesundheit kein Kriterium sein. Das Gesetz sieht ja Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirkschaftlichkeit als Bedingung für die Aufnahme in die Grundversicherung vor.

Dass Phytotherapie in der Poleposition zu sein scheint, ist erfreulich, und es dürfte damit zusammenhängen, dass sie von den fünf zur Diskussion stehenden Methoden am besten wissenschaftlich belegt ist.

Dazu ist aber zu sagen, dass es meiner Ansicht nach keine sachlichen, fachlichen Gründe dafür gibt, Phytotherapie zur Komplementärmedizin zu zählen. Die Bürgerinnen und Bürger werden hier in die Irre geführt. Dass Phytotherapie in dieses Fünfer-Päckli aufgenommen wurde zusammen mit Homöopathie, Anthroposophischer Medizin, Traditioneller Chinesischer Medizin und Neuraltherapie, ist das Resultat von geschicktem Lobbying und einer cleveren Politstrategie. Diese politische Vereinnahmung der Phytotherapie lehne ich ab.

Siehe auch:

Gehört Phytotherapie zur Komplementärmedizin?

Der Artikel im Tages-Anzeiger ist meines Erachtens ziemlich tendenziös. Er suggeriert böse Machenschaften zum Schaden der Komplementärmedizin, deutet aber alles nur vage an.

„Für zusätzlichen Ärger sorgt…..“

Wer genau ärgert sich über die angebliche Poleposition von Phytotherapie und Neuraltherapie?

„Für die Befürworter der Alternativmedizin liegt darum der Verdacht nahe: Der Bund möchte eigentlich nichts tun, nur wagt er dies nach dem positiven Volksentscheid nicht und setzt nun darum auf die unbedeutendsten Methoden.“

Wer äussert diesen Verdacht und wie wird er begründet?

„’Wir befürchten, dass es verschiedene Gründe gibt, die Methoden nicht gleichzubehandeln’, sagt die grüne Nationalrätin Yvonne Gilli. Und Rolf Büttiker warnt: ‚Es darf keinen politischen Deal geben.’ Vielmehr seien alle fünf Methoden unvoreingenommen und strikt nach den WZW-Kriterien zu prüfen – und zwar durch unabhängige Experten.“

Welche Gründe meint Nationalrätin Yvonne Gilli? Geheimnisvolle Andeutungen sind fragwürdig und verunmöglichen eine offene Diskussion. Zudem wäre es aus Gründen der Transparenz nötig offenzulegen, dass für Yvonne Gilli als Ärztin für Homöopathie und Sympathisantin der Anthroposophie auch eigene Interessen im Spiel sind. Redet nämlich ein Bankenvertreter im Parlament zu einer Bankenvorlage, so wird diese Interessenbindung (hoffentlich) auch erwähnt.

Und was meint Ständerat Rolf Büttiker mit „Es darf keine politischen Deal geben?“ – Auch hier vage Unterstellungen statt klare Aussagen.

Welche Art von Deal meint Rolf Büttiker?

Und ja, natürlich gibt es Unterschiede  zwischen den fünf Methoden, die zu unterschiedlichen Bewertungen führen können.

Und unabhängige Experten zu fordern ist schön, wie wäre es aber, wenn die Anhänger der Komplementärmedizin unabhängige Experten vorschlagen würden? Dann könnte man nämlich über diese Vorschläge diskutieren.

„Yvonne Gilli fürchtet vor allem, dass die Kommission die Wirksamkeit der Komplementärmedizin primär nach den wissenschaftlichen Kriterien der Schulmedizin nachzuweisen versucht. Dabei aber – so sehe es auch das Bundesgericht – dürfe man es nicht belassen, sagt Gilli. Vielmehr sei eine auch für Komplementärmedizin geeignete Methodik anzuwenden.“

Auch das eine alte Leier – immer wieder die Forderung nach speziell auf die verschiedenen Verfahren zugeschnittenen Prüfmethoden. Das Bundesgericht hat eine wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit gefordert, die nicht nur nach den Kriterien der Schulmedizin geschehen muss.

Aber das Bundesgericht hat auf strengen wissenschaftlichen Prüfmethoden bestanden. Das wird nicht einfach werden.

Die Forderung nach einer für die Komplementärmedizin geeigneten Prüfmethodik tönt auf den ersten Blick überzeugend. Sie könnte aber beinhalten, dass quasi jede Methode selber festlegt, nach welchen Kriterien sie überprüft werden will. Das würde auf einen Binnenkonsens hinaus laufen und die verschiedenen Komplementärmedizin-Verfahren gegen unabhängige Überprüfung immunisieren.

Warum legt Yvonne Gilli nicht auf den Tisch, welche Methoden konkret sie für geeignet hält, dann könnte nämlich darüber diskutiert werden. Aber immer schön vage bleiben, dann kann man Verdächtigungen streuen, ohne selber hinterfragbar zu werden.

Ein Kern der Anthroposophischen Medizin zum Beispiel besteht in der Vorstellung, dass Behinderung und Krankheit durch moralisches Versagen in einem früheren Leben bewirkt wird. Lügenhaftigkeit zum Beispiel bewirkt geistige Behinderung. Anthroposophische Medizin arbeitet an diesem unterstellten schlechten Karma von Behinderten und Kranken. Wie stellt sich Nationalrätin Yvonne Gilli (GPS) vor, dass die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit dieser Karmatherapie wissenschaftlich überprüft werden soll?

Diese Frage müsste natürlich auch an  SP-Nationalrat Jean-François Steiert und an Ständerat Rolf Büttiker (FDP) gehen, die im Artikel erwähnt sind. Mit der Zusatzfrage, warum sie staatliche Unterstützung und Anerkennung für eine Heilmethode verlangen, die auf derart diskriminierenden Unterstellungen gegenüber Behinderten und Kranken basiert.

Siehe:

Komplementärmedizin: Kritische Fragen an Simonetta Sommaruga zur Förderung der Anthroposophischen Medizin

Anthroposophische Medizin ins Medizinstudium – offene Fragen

Anthroposophische Pflege – offene Fragen

Komplementärmedizin: kritische Anmerkungen zur Anthroposophischen Medizin

Tages-Anzeiger online hat zum Artikel eine Abstimmung durchgeführt mit der Frage:

„Gehört die Alternativmedizin in die Grundversicherung?“

48 % antworteten mit JA,

52 % antworteten mit NEIN

Die Fragestellung ist etwa so sinnvoll wie die Frage: Sind Pilze giftig, ja oder nein?

Mit anderen Worten, Differenzierung wäre gefragt anstelle von Pauschalisierung.

Quelle:

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Befuerworter-der-Alternativmedizin-fuerchten-um-die-Fruechte-ihres-Sieges/story/13005242

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

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www.phytotherapie-seminare.ch

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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

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