Unter dem Titel „Pflanzliche Antibiotika bei Infekten & Co“ berichtet die „Carstens-Stiftung“ über Alternativen zu Antibiotika aus der Phytotherapie.

Das ist ein sehr interessantes Thema und die „Carstens-Stiftung“ weißt zu Recht auf die grossen Probleme hin, die der leichtfertige Einsatz von Antibiotika mit sich bringt. Die Antibiotika-Resistenzen nehmen weltweit dramatisch zu:

„Das ist auch der Grund, warum jedes Jahr Hunderttausende in Krankenhäusern an Infekten sterben, die durch antibiotikaresistente Keime verursacht werden, und die Zahl der resistenten Bakterien nimmt stetig zu. Die Wissenschaftler forschen weltweit nach Alternativen und finden diese in der Natur.“

Der Artikel stellt dann beispielhaft „einige pflanzliche Antibiotika“ vor, „deren Wirkung wissenschaftlich zum Teil nachgewiesen werden konnte.“

Von diesen Beispielen möchte ich hier den Abschnitt über Thymian herausgreifen und kommentieren:

„Wissenschaftler wiesen die keimtötende Wirkung von Thymian in einer Versuchsreihe mit Streptococcus pyogenes nach. Diese Bakterien sind Hauptverursacher von Mandelentzündungen. Durch die Zugabe von Thymian verringerte sich ihre Zahl drastisch. Der Effekt ist nahezu vergleichbar mit dem eines Antibiotikums wie Amoxicillin. In einer weiteren Studie fanden Forscher heraus, dass Mundspülungen, die Thymian enthielten, ebenfalls die Zahl der schädlichen Bakterien stark dezimieren und so Entzündungen der Mundschleimhaut und des Zahnfleisches lindern. Auch bei Bronchitis, Husten, fieberhaften Infekten und Grippe kann Thymian helfen: Das ätherische Öl des Thymians löst sogar festsitzenden Schleim in den Atemwegen, wirkt schmerzstillend, entzündungshemmend, krampflösend und schweißtreibend. Thymian gibt es in unterschiedlichen Darreichungsformen: als Öl, Körperöl, Pastillen, Saft, Tropfen, Erkältungsbad, Salbe oder Tee.“

Quelle:

http://www.carstens-stiftung.de/artikel/pflanzliche-antibiotika-bei-infekten.html

 

Kommentar & Ergänzung:

Ich bin mit der Stossrichtung dieser Beschreibung einverstanden. Thymian zeigt in vielen Experimenten gute Wirkungen gegen Bakterien.

Allerdings ist diese Aussage recht ungenau. Bei dieser „Versuchsreihe mit Streptococcus pyogenes“ und beim Vergleich mit dem Antibiotikum Amoxicillin handelt es sich um Untersuchungen im Labor. Mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit wurde dabei nicht „Thymian“ (als Thymiankraut) zugegeben, sondern das ätherische Thymianöl oder sein Hauptbestandteil Thymol – und das ist ganz und gar nicht das selbe wie „Thymian“, weil die Konzentration der antibakteriellen Wirkstoffe dadurch viel höher ist. Wenn da also zur Wirkung gegen Streptococcus pyogenes geschrieben steht: „Durch die Zugabe von Thymian verringerte sich ihre Zahl drastisch“, so ist das irreführend.

Auch die Aussage: „Der Effekt ist nahezu vergleichbar mit dem eines Antibiotikums wie Amoxicillin“, ist heikel, wenn nicht klar gesagt wird, dass es sich um ein Experiment im Reagenzglas mit Thymianöl oder Thymol handelt. Leserinnen und Leser ziehen dann nämlich möglicherweise den Schluss, dass Thymian bei Infektionen im menschlichen Organismus „nahezu vergleichbar“ mit dem Antibiotikum Amoxicillin wirkt. Dann könnte man auch auf die Idee kommen, bei einer Infektion Amoxicillin durch Thymiantee zu ersetzen. Es gibt aber keinerlei Hinweise darauf, dass „Thymian“ systemisch gegeben bei einer Infektion antibiotisch wirkt. Im Labor an Bakterienkulturen lassen sich mit vielen ätherischen Ölen eindrückliche antibakterielle Effekte zeigen. Dort trifft das ätherische Thymianöl direkt mit den Bakterien zusammen – face to face quasi. Die Situation im „Biotop“ Mensch sieht aber sehr anders aus. Bereite ich mir einen Thymiantee, geht schon mal nur ein Teil des wasserscheuen ätherischen Öls ins Teewasser über.

Wird dann trotzdem ätherisches Öl aus dem Verdauungstrakt aufgenommen, passiert es zuerst die Leber und wird dort möglicherweise umgebaut, damit die Nieren es ausscheiden können. Unwahrscheinlich, dass auf diesem Weg Konzentrationen im Organismus erreicht werden, die systemisch antibakteriell wirken und mit Amoxicillin vergleichbar sind.

Denkbar ist eine systemische antibakterielle Wirkung, wenn ätherische Öle konzentriert in magensaftresistenten Kapseln eingenommen werden, zum Beispiel als Gelomyrtol / Gelodurat, einer Kombination von Eukalyptusöl mit verschiedenem anderen ätherischen Ölen. So können relevante Mengen an ätherischem Öl peroral zugeführt werden. Dass davon ein gewisser Teil die Leber „übersteht“ zeigt sich darin, dass nach der Einnahme die Atemluft nach Eukalyptusöl riecht. Eine antibakterielle Wirkung in den Atemwegen ist so denkbar, vielleicht sogar eine antibakterielle Wirkung in den Harnwegen, wenn Bestandteile des ätherischen Öls dort ausgeschieden werden (das ist aber reine Spekulation). Aber auch bei der hochdosierten Einnahme von ätherischem Öl in Kapselform dürfte eine antibakteriell wirksame Konzentration nur in den Ausscheidungswegen (Atemwege, vielleicht Harnwege) erreichbar sein, nicht systemisch im ganzen Organismus.

Denkbar sind zudem antibakterielle Wirkungen von Thymianöl bei Anwendung als Inhalation.

Fazit: Viele ätherische Öle zeigen antibakterielle Wirkung, doch braucht es dazu eine gewisse Mindestkonzentration, die wohl nur erreicht wird bei örtlicher Anwendung auf Haut oder Schleimhaut. Wie Thymianöl im ganzen Körper antibiotisch gegen Infekte wirken soll, ist unklar.

Die Phytotherapie schreibt dem Thymian eine auswurffördernde Wirkung bei Husten zu. Auch hier ist es aber entscheidend, eine wirksame Anwendungsform einzusetzen.

Der Nutzen einer Anwendung von Thymian bei „fieberhaften Infekten und Grippe“, wie sie der Text empfiehlt, ist unklar. Was soll damit erreicht werden? Bekämpfung der Grippeviren oder Rhinoviren? Thymianöl wirkt zwar im Labor auch gegen Viren (z. B. gegen Herpes-Viren), doch stellt sich auch die Frage, ob eine wirksame Konzentration im ganzen Organismus erreicht werden kann. Das ist eher fraglich….

Und eine schweisstreibende Wirkung von Thymian taucht in der Phytotherapie-Fachliteratur nirgends auf.

 

Meiner Ansicht nach wäre es klarer, im Zusammenhang mit Heilpflanzen-Anwendungen von antimikrobiellen, antibakteriellen, antimykotischen oder antiviralen Mitteln zu sprechen, aber nicht von “pflanzlichen Antibiotika”. Dieser Begriff ist mir zu aufgeplustert und weckt falsche Erwartungen. Seht her, wir haben auch Antibiotika aus der Natur, ganz sanfte, ohne Nebenwirkungen und Resistenzbildung…..

Das schliesst aber nicht aus, dass man in bestimmten, begrenzten Bereichen Antibiotika durch antibakterielle Heilpflanzen-Anwendungen ersetzen kann und vielleicht manchmal auch soll. Die Grenzen sollten jedoch auch abgesteckt werden.

 

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe

Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse

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www.phytotherapie-seminare.ch

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