Täglich eingenommenes Aspirin (Acetylsalicylsäure, ASS) kann das Risiko für Herzinfarkt und manche Krebsarten reduzieren – wobei aber als Nachteil Blutungen auftreten können. Forscher haben nun Nutzen und Risiken neu bewertet und empfehlen die vorbeugende Einnahme.

Vielleicht lohnt sich aber auch hier der bewährte Grundsatz: Nachdenken vor Schlucken.

Denn die ASS-Tabletten müssen über viele Jahre regelmässig eingenommen werden, um vorbeugende Effekte zu erzielen.

Die Risikoverminderung lässt sich als relatives oder absolutes Risiko darstellen und das hinterlässt bei Leserinnen und Lesern sehr unterschiedliche Eindrücke.

 

Relatives Risiko:

„Die Hauptergebnisse: Wer täglich 75 bis 100 Milligramm ASS einnimmt, hat – statistisch gesehen – nach zehn Jahren ein um 35 Prozent reduziertes Darmkrebsrisiko (minus 40 Mortalität durch diese Krankheiten), die Gefährdung, an Speiseröhren- oder Magenkrebs zu erkranken sinkt um 30 Prozent. Die Sterblichkeit dadurch sinkt um 35 bis 50 Prozent.“

Quelle:

http://science.orf.at/stories/1743702/

 

Das sieht nach einem dramatisch grossen Schutzeffekt aus.

Stellt man die Zahlen als absolutes Risiko dar, erscheint der Schutzeffekt plötzlich kleiner:

 

Absolutes Risiko:

„Auf 1.000 Personen, die bis zum 60. Lebensjahr täglich ASS einnehmen, würden 16 Todesfälle an Krebs, einer an Herzinfarkt vermieden. Dem stünden zwei zusätzliche Todesfälle durch Blutungskomplikationen gegenüber.“

Quelle:

http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/59655/ASS-Reduktion-des-Krebsrisikos-macht-Primaerpraevention-vorteilhaft

Absolutes Risiko:

„Am Beispiel von 100 Männern und 100 Frauen zeigen die Mediziner, was die ASS-Einnahme beginnend mit 55 Jahren – statistisch gesehen – für die nächsten 20 Jahre für Folgen hätte: Von 100 Männern würden 11,5 an Krebs sterben, Aspirin hin oder her. Allerdings könnten 1,5 der 100 Männer mithilfe des Medikaments vor dem Krebs gerettet werden. Der Schutz vor dem Herztod fällt geringer aus und liegt bei weniger als 0,25 verhinderten Todesfällen unter 100 Männern. In einer ähnlich niedrigen Größenordnung liegen die Risiken durch Aspirin, hauptsächlich bedingt durch die erhöhte Blutungsneigung, die zu Schlaganfällen und Magenblutungen führen kann. Diese Risiken steigen besonders bei Menschen jenseits der 70 an.“

Quelle:

http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/arzneimittel-asprin-gegen-krebs-und-infarkt-1.2079032

 

Also: Wenn 100 Männer über 20 Jahre täglich Aspirin schlucken könnten von 11,5 Männern, die an Krebs sterben, 1,5 Männer dank Aspirin gerettet werden. Das ist nicht nichts und schon gar nicht für die 1,5 Männer, die davon profitieren. Aber es ist auch nicht gerade ein grosser Durchbruch.

 

Festzuhalten ist dazu noch, dass es bei diesen Zahlen um Primärprävention geht. Die Studienteilnehmer haben also noch keine Krebserkrankung bzw. keinen Herzinfarkt erlitten. Beim Herzinfarkt scheint die Sekundärprävention – also die Vorbeugung eines Zweitinfarktes nach einem Herzinfarkt, von der Studienlage her nicht umstritten. Für die Primärprävention mit ASS kam allerdings die Metaanalyse einer Forschergruppe an der St. George’s Universität in London 2012 zum Schluss, dass das Risiko den Nutzen überwiegt, und dass 120 Personen über sechs Jahre ASS einnehmen müssen, um ein Herz-Kreislauf-Ereignis zu vermeiden.

Siehe dazu:

Aspirin (ASS) für die Primärprävention von Herzinfarkt – mehr Risiko als Nutzen

 

Das „Ärzteblatt“ schreibt:

„Der Vorteil von ASS in der Primärprävention ist demnach denkbar gering, und einzelne Risikofaktoren, die das Blutungsrisiko erhöhen, könnten schnell zu einer negativen Bilanz führen. Dazu gehören beispielsweise Rauchen und der Konsum von Alkohol oder auch eine Infektion mit H. pylori. Wer ASS einnimmt, sollte deshalb tunlichst auf einen übermäßigen Alkoholkonsum und auf das Rauchen verzichten, rät Cuzick.“

Quelle:

http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/59655/ASS-Reduktion-des-Krebsrisikos-macht-Primaerpraevention-vorteilhaft

 

Und Werner Bartens stellt zu diesem Thema abschliessend fest:

„Allerdings muss erwähnt werden, dass die Tabletten viele Jahre regelmäßig genommen werden müssen, um den beschriebenen Effekt zu erreichen. Und dass die Euphorie der Autoren vielleicht eine Spur heftiger ausfällt, weil etliche von ihnen beratend für Bayer tätig sind.“

Quelle:

http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/arzneimittel-asprin-gegen-krebs-und-infarkt-1.2079032

 

Originalstudie:

http://annonc.oxfordjournals.org/content/early/2014/07/30/annonc.mdu225.full?sid=2d2f4b88-d17a-4313-97ae-e4c7a26d3353

 

 

Wikipedia-Artikel zum Thema:

Relative und absolute Risikoreduktion

 

Kommentar & Ergänzungen:

Dass die Euphorie der Autoren vielleicht eine Spur heftiger ausfällt, weil etliche von ihnen mit dem Aspirin-Hersteller Bayer verbunden sind, passt gut zu diesem Beitrag:

Forschungsberichte oft übertrieben optimistisch formuliert

Es stellen sich aber noch ein paar andere Fragen:

Warum eigentlich gerade Aspirin zur Krebsprävention?

Da gibt es doch beispielsweise den Spruch „An apple a day keeps the doctor away“. Und es gibt ein paar Hinweise aus Tieruntersuchungen und Beobachtungsstudien, die zwar nicht beweisen, aber doch nahelegen, dass auch Äpfel einen krebspräventiven Effekt haben könnten:

„Was Epidemiologen bereits wissen: Menschen, die häufig Äpfel essen, erkranken seltener an Darm- und Lungenkrebs. Das haben zwei Forschungsstudien in Finnland und den USA vor einigen Jahren gezeigt. Ein deutlich vermindertes Krebsrisiko fanden die Forscher zwar nur, wenn sie die Teilnehmer, die von allen Untersuchten die meisten Äpfel verzehrten, mit totalen Apfel-Abstinenten verglichen. Außerdem beobachteten sie den schützenden Effekt bisher nur bei Frauen……….

Einen weiteren Hinweis darauf, dass Apfelesser seltener Krebs bekommen, liefern Tierversuche. Wissenschaftler haben gezeigt, dass Mäuse oder Ratten, die neben ihrem normalen Futter mit Extrakten aus Äpfeln, Apfelschalen oder Apfelsaft verköstigt werden, seltener Tumoren entwickeln. Die Tiere waren zuvor entweder mit krebserregenden Substanzen in Berührung gebracht worden oder es handelte sich um genetisch vorbelastete Arten, die ein höheres Krebsrisiko tragen. Bei den Tieren, die eine Nahrungsergänzung aus Äpfeln bekommen hatten, fanden die Forscher bis zu fünfzig Prozent weniger Tumoren als bei den Tieren mit gewöhnlicher Verköstigung. In anderen Versuchen hatten die Tiere mit der Apfeldiät zumindest deutlich kleinere Geschwülste als ihre normal fressenden Artgenossen. Ein japanisches Forscherteam fand zudem deutlich weniger Metastasen in Lunge und Lymphknoten, wenn den Tieren Apfelsaft zum Essen gereicht wurde. Der Effekt war bei trübem Apfelsaft deutlicher ausgeprägt als bei klarem. Die Forscher vermuten, dass dafür die Procyanidine verantwortlich sind – denn die sind im trüben Apfelsaft in viel größeren Mengen enthalten.“

Diese Sätze stehen nicht etwa in der „Glückspost“, sondern immerhin in der Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Würde man ein paar Millionen in die Apfelforschung stecken, könnte man vielleicht auch fundiert zeigen, dass „an apple a day“ ein bisschen krebsprophylaktisch wirkt. Aber da investiert niemand ein paar Millionen.

Oder wie wärs mit Radieschen? – Die hab ich gern. Enthalten Glukosinolate (Senfölglykoside) ähnlich wie Brokkoli, und die könnten auch positive Effekte zeigen gegen Krebserkrankungen:

Brokkoli-Wirkstoffe unterstützen Krebstherapie

 

Ich glaub, ich probiers mal mit einem Radischen oder Apfel täglich als Prophylaxe (ohne Blutungsrisiko) – und verzichte bis auf weiteres auch in Zukunft auf Aspirin…..

Siehe auch:

Aspirin (ASS): Vorteil zur Krebsprävention unklar

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe

Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse

Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse

www.phytotherapie-seminare.ch

Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:

Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch